Die Rechtsnatur des Anspruchs des Kunden gegen die Bank wegen krimineller Handlungen des Bankangestellten – Erfüllungsklage versus Haftungsklage – Mögliche Folgen aus versicherungsrechtlicher Optik
Urteil des Bundesgerichts vom 13. September 2022, 4A_407/2021(amtlich publiziert als BGE 149 III 105 = Pra 2023 Nr. 28)
Datum: 25. September 2023
Das Bundesgericht hatte in diesem Entscheid die Frage zu beantworten, ob ein Kunde, der Opfer krimineller Machenschaften eines Bankangestellten wurde, einen Anspruch gegen die Bank auf Vertragserfüllung oder auf Schadenersatz hat.
Im konkreten Fall stellte das Bundesgericht fest, dass der Bankangestellte – ein am Turkish Desk tätiger Kundenberater – zwischen 2006 und 2009 zwölf unautorisierte Transaktionen (u.a. Überweisungen an Dritte ohne Gegenpartei, Aktientransfers und -käufe sowie Devisengeschäfte) getätigt hatte. Bis auf eine Ausnahme hatten alle diese Transaktionen zu einem Verlust für den Kunden geführt.
Im Februar 2010 reiste der Bankangestellte in die Türkei und kehrte nicht zurück. In der Folge wurde er von der Bank mit sofortiger Wirkung entlassen. Nachdem der Kunde mit der Bank Kontakt aufgenommen und von den Unstimmigkeiten auf seinem Konto erfahren hatte, teilte er der Bank mit, welche Transaktionen er tatsächlich angewiesen hatte und welche ohne seine Einwilligung erfolgt waren. Die interne Revision der Bank stellte fest, dass es zu einer missbräuchlichen Verwendung von Kundengeldern für persönliche Zwecke des Bankangestellten und sogar Betrug am Turkish Desk gekommen war, der für diverse Kunden und die Bank zu einem Schaden von über 14,5 Millionen Franken geführt hatte.
Das Bundesgericht stellte fest, dass der Kunde einen Schaden erleidet, für den die Bank gemäss Art. 398 Abs. 2 und Art. 97 OR haftet, wenn es sich um eine Veruntreuung von Kundengeldern durch einen Bankangestellten handelt, d.h. wenn Transaktionen ohne Weisung oder Zustimmung des Kunden durchgeführt werden. In solchen Situationen hafte die Bank für die unerlaubten Handlungen des Angestellten aufgrund der Hilfspersonenhaftung (Art. 101 OR und 41 OR). Das Bundesgericht hält dazu Folgendes fest (vgl. BGE 149 III 105 E. 4.3 = Pra 2023 Nr. 28, S. 437 f.):
"Diese Fälle von unerlaubten Handlungen, die eine vertragliche Haftung der Bank zur Folge haben, sind streng zu unterscheiden von den Fällen, in denen die Bank Zahlungen oder Überweisungen vom Konto des Kunden an einen Dritten ausführt, weil sie die mangelnde Berechtigung des Auftraggebers oder eine Fälschung nicht erkannt hat. Gemäss der Rechtsprechung gehören nämlich die fehlende Berechtigung sowie nicht erkannte Fälschungen in gleicher Weise zu den inhärenten Risiken des Bankgeschäfts wie die Zahlungsunfähigkeit des Kunden (...) In diesen beiden Fällen trägt die Bank den Schaden, da es ihr Risiko ist, und sie muss daher gegebenenfalls den Betrag ein zweites Mal dem Kunden zahlen, der über eine Erfüllungsklage verfügt (...) Es handelt sich hier um Ausnahmen von der allgemeinen Regel der Vertragshaftung gemäss Art. 398 Abs. 2 und Art. 97 ff. OR. [...]."
Zusammengefasst unterscheidet das Bundesgericht zwei Konstellationen:- Führt die Bank vom Kunden nicht autorisierte Transaktionen durch, etwa weil sie die fehlende Berechtigung oder eine gefälschte Anweisung nicht erkannt hat (also bei kriminellen Handlungen „von aussen“), ist sie verpflichtet, die Belastungen auf dem betroffenen Kundenkonto rückgängig zu machen. Die Bank hat den Kontostand aus eigenen Mitteln wiederherzustellen und erleidet daher einen Eigenschaden; der Anspruch des Kunden gegenüber der Bank lautet auf Vertragserfüllung.
- Wenn dagegen ein Mitarbeiter der Bank Gelder abzweigt oder unerlaubte Investitionen tätigt (also bei kriminellen Handlungen innerhalb der Bank), hat der Kunde einen Schadenersatzanspruch gegen die Bank und kann die Haftungsklage erheben. In diesem Fall kann die Bank jedoch einwenden, den Kunden treffe ein Mitverschulden, welches die Schadenhöhe vergrössert habe, etwa für den Fall, dass der Kunde seine banklagernde Korrespondenz bzw. Kontoauszüge nicht überprüft habe.
Diese Entscheidung hat wohl nicht nur einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung Bankenhaftung im execution only-Bereich herbeigeführt, sondern könnte auch (möglicherweise unbeabsichtigte oder unerwünschte) Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der Vertrauensschaden- und Berufshaftpflichtversicherung der Bank zeitigen.
Bei der Frage, welcher Versicherungsschutz in solchen Situationen greift, bietet das Grundsatzurteil des Zürcher Handelsgerichts vom 24. Januar 2006 (ZR 105/2006 S. 120) eine Orientierung. Darin hielt das Handelsgericht nämlich fest, vertragliche Erfüllungsansprüche seien nicht von der Deckung durch eine Haftpflichtversicherung umfasst, fehle es in einem solchen Fall doch an der Verwirklichung der versicherten Gefahr, für den Schaden eines andern haftpflichtig zu werden. Denn – so das Handelsgericht – wer noch über seine vertraglichen Erfüllungsansprüche verfüge, habe keinen Schaden erlitten und damit auch keinen Haftpflichtanspruch erworben.
Erleidet der Kunde, dessen Bankbeziehung als execution only qualifiziert, durch nicht von ihm autorisierte Transaktionen und Überweisungen eines kriminell handelnden Bankmitarbeiters einen Schaden, so hat der Kunde nach Auffassung des Bundesgerichts in BGE 149 III 105 einen Haftpflichtanspruch gegen die Bank auf Ersatz dieses Schadens. In der Regel wird es sich dabei aber nicht um einen direkten Schaden im Sinne der Vertrauensschadenversicherung handeln. Folglich dürften derartige Haftpflichtansprüche des Kunden gegenüber der Bank eher unter eine Haftpflichtdeckung fallen. Vorbehalten bleibt jedoch stets der von den Parteien vertraglich vereinbarte Anwendungsbereich und Umfang des Versicherungsschutzes der betreffenden Police.