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Unterlassene Prozessführung als Sorgfaltspflichtsverletzung des Verwaltungsrats

Urteil des Bundesgerichts vom 18. März 2025, 4A_506/2024

Datum: 29. August 2025

Unterbleibt die Anwendung der Business Judgement Rule, genügt für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Verwaltungsrats bereits, dass ein Geschäftsentscheid objektiv fehlerhaft erscheint. Das Bundesgericht erachtete im konkreten Fall die unterlassene Prozessführung als Sorgfaltspflichtverletzung.

 

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war Verwaltungsrat der D. AG, der Beschwerdegegner Verwaltungsrat der C. AG. Im Rahmen eines Bauprojekts beauftragte die C. AG die D. AG. Nach Abschluss der Arbeiten machte die C. AG geltend, es bestünden erhebliche Mängel, die zu einem Schaden von rund CHF 1.5 Mio. geführt hätten.

2014 erhob die C. AG eine Teilklage gegen die D. AG. Das Kantonsgericht Zug wies diese ab, die zweite Instanz trat mangels hinreichend bestimmter Rechtsbegehren nicht darauf ein. In der Folge trat die C. AG ihre Ansprüche an den Beschwerdegegner ab. Dieser erhob 2018 eine neue Teilklage gegen die D. AG am Handelsgericht Zürich. Diese reichte jedoch keine Klageantwort ein, sodass sie vollumfänglich verurteilt wurde.

2019 wurde über die D. AG der Konkurs eröffnet. Die Konkursverwaltung trat dem Beschwerdegegner allfällige Verantwortlichkeitsansprüche der Gesellschaft gegen deren Verwaltungsrat (Art. 260 SchKG) ab. Der Beschwerdegegner klagte daraufhin beim Kantonsgericht Zug (unter anderem) auf Ersatz des Schadens, der durch die unterlassene Prozessführung der D. AG im Jahr 2018 entstanden sei.

 

Entscheid des Bundesgerichts 

Das Bundesgericht hatte insbesondere zu prüfen, ob die unterlassene Prozessführung eine Pflichtverletzung darstellt und ob ein adäquater Kausalzusammenhang zum eingetretenen Schaden besteht.

Das Gericht erinnerte an die Grundsätze der Business Judgement Rule (E. 7.2.): Gerichte haben sich bei der Beurteilung von Geschäftsentscheiden zurückzuhalten und prüfen lediglich, ob ein Entscheid vertretbar war, wenn er auf einem einwandfreien, informierten und von Interessenkonflikten freien Prozess beruhte. Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer nicht nachweisen, dass ein solcher Entscheidungsprozess stattgefunden hatte. Daher fand die Business Judgement Rule keine Anwendung.

Das Bundesgericht erklärte, dass in diesem Fall zu prüfen sei, welches Handeln ein gewissenhafter und vernünftiger Mensch unter den gleichen Umständen für nötig erachten würde. Der Beschwerdeführer erklärte, dass die Gesellschaft den Prozess im Jahre 2018 nicht geführt habe, da der D. AG die finanziellen Mittel hierfür gefehlt, es keine Versicherungsdeckung gegeben und die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit bereits Jahre zuvor eingestellt hätte. Das Bundesgericht erachtete dies als nicht überzeugend: Die Gesellschaft hätte sich zumindest mit denselben Argumenten wie bereits 2014 verteidigen können. Eine anwaltliche Vertretung sei dazu nicht zwingend erforderlich gewesen. Die Untätigkeit stellte daher eine Sorgfaltspflichtverletzung dar.

Neben der Pflichtverletzung prüfte das Bundesgericht den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden. Mit anderen Worten musste das Gericht somit prüfen, ob der Schaden der Gesellschaft ebenfalls entstanden wäre, hätte der Beschwerdeführer keine Pflichtverletzung begangen, indem die Prozessführung für die Gesellschaft unterlassen wurde.

Hierbei zog das Gericht eine Parallele zu Haftpflichtprozessen zwischen Anwälten und ihren Klienten. In dieser Konstellation müsse geprüft werden, wie der (verlorene) Prozess ausgegangen wäre, hätte die Rechtsvertretung sich sorgfältig verhalten (sog. Schattenprozess). 
Im vorliegenden Fall kam das Gericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer selber im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht hatte, dass der D. AG. keine Pflichtverletzung in Bezug auf die Baumängel vorzuwerfen sei. Hierauf könne abgestellt und der Schluss gezogen werden, dass bei gebotener Prozessführung keine Verurteilung der D. AG und damit auch kein Schaden entstanden wäre. Die Kausalität wurde somit bejaht.

 

Kommentar und Kritik

Nur selten kommt es zu Verantwortlichkeitsprozessen – und noch seltener zu einer tatsächlichen Verurteilung eines Verwaltungsrats wegen Pflichtverletzung. Umso bedeutsamer ist der vorliegende Entscheid, der für die Praxis gleich in mehrfacher Hinsicht relevant ist:

Verwaltungsräten ist dringend zu empfehlen, ihre Entscheidungsprozesse bei wichtigen Geschäftsentscheiden zu dokumentieren. Nur so können sie in einem späteren Verfahren nachweisen, dass der Entscheid auf einer soliden Informationsbasis, frei von Interessenkonflikten und in einem ordnungsgemässen Prozess gefällt wurde. Dies ist Voraussetzung, um in den Schutzbereich der Business Judgement Rule zu fallen und von der Zurückhaltung der Gerichte bei der nachträglichen Überprüfung von Geschäftsentscheiden zu profitieren.

Bemerkenswert ist ferner, dass das Bundesgericht betont, dass der Verwaltungsrat selbst in finanziell angespannten Situationen verpflichtet sein kann, aktiv zu prozessieren bzw. zumindest eine minimale Verteidigung vorzunehmen. Untätigkeit kann damit als Sorgfaltspflichtverletzung qualifiziert werden.

Kritisch zu sehen ist hingegen die Kausalitätsprüfung: Das Bundesgericht stellte ausschliesslich auf die eigenen Behauptungen des Beschwerdeführers ab, wonach der D. AG keine Vertragsverletzung vorzuwerfen sei. Daraus ohne vertiefte Prüfung des Sachverhalts den hypothetischen Prozessausgang abzuleiten, erscheint uns zu verkürzt.

 

 

 

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