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Covid-19-Massnahmen des Bundesrates stellen ein einziges versichertes Ereignis dar

Urteil 4A_303/2022 vom 17. Oktober 2022

Sachverhalt

Der Gastrobetrieb A. AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) schloss mit der B. AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) eine «All Risks Unternehmensversicherung» für den Zeitraum zwischen August 2019 und Dezember 2023 ab. Zusätzlich wurde der Deckungsbaustein «Epidemie» gemäss Ziff. 18 der Police gewählt, der wie folgt lautet: «Als versicherte Ereignisse gelten Massnahmen, die (…) angeordnet werden, um die Verbreitung von übertragbaren Krankheiten zu verhindern.

- Unterbrechungsschäden und Lohnkosten ER 500'000»

Am 28. Februar 2020 erliess der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19-Verordnung 1), setzte sie gleichentags in Kraft und befristete sie bis zum 15. März 2020. Sie enthielt im Wesentlichen das Verbot von öffentlichen und privaten Veranstaltungen mit mehr als 1’000 Personen sowie Einschränkungen für öffentliche und private Veranstaltungen mit weniger als 1’000 Personen.

Während die Covid-19-Verordnung 1 keine Betriebsschliessungen vorsah, enthielt die am 13. März 2020 beschlossene und gleichentags in Kraft gesetzte Covid-19-Verordnung 2 ein Verbot von öffentlichen und privaten Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen sowie Einschränkungen für öffentliche und private Veranstaltungen mit weniger als 100 Personen. Unter anderem wurde auch vorgeschrieben, dass sich in Restaurations- und Barbetrieben nicht mehr als 50 Personen (einschliesslich des Personals) aufhalten durften. Diese Massnahmen sollten bis zum 30. April 2020 gelten, jedoch höchstens für sechs Monate ab Inkrafttreten.

Bereits drei Tage später wurde die Covid-19-Verordnung 2 geändert und die Massnahmen verschärft. Der Bundesrat ordnete mit Wirkung ab dem 17. März 2020 die Schliessung von für das Publikum öffentlich zugänglichen Einrichtungen an, insbesondere von Restaurations- und Barbetrieben, mit Geltungsdauer bis zum 19. April 2020. Am 8. April 2020 wurden die genannten Massnahmen bis zum 26. April 2020 verlängert.

Mit Ausnahme der Sonderregelung für die Aussenbereiche wurde am 16. April 2020 die Schliessung der Restaurants bis zum 10. Mai 2020 verlängert. Mit Änderung der Covid-19-Verordnung 2 vom 8. Mai 2020 waren ab dem 11. Mai 2020 Restaurations- und Barbetriebe unter einschränkenden Auflagen wieder öffentlich zugänglich.

Für den erlittenen Umsatzausfall zufolge der Covid-19-Massnahmen bezahlte die Beklagte der Klägerin im Frühling 2020 die vereinbarte Leistungsbegrenzungssumme von CHF 500'000.--.

Vorinstanzliche Beurteilung

Die Klägerin beantragte mit Klage vor dem Handelsgericht Zürich, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr CHF 1'511'790.-- für Unterbrechungsschäden infolge Epidemie zwischen dem 13. März 2020 und 10. Juni 2020 nebst Zins zu bezahlen. Sie machte geltend, dass mit jeder neuen behördlichen Anordnung ein neues versichertes Ereignis ausgelöst worden sei, sodass sie für den Zeitraum vom 13. März 2020 bis 10. Juni 2020 Versicherungsleistungen von insgesamt CHF 1'511'790.-- für Unterbrechungsschäden infolge Epidemie fordern könne. Die Beklagte hingegen stellte sich auf den Standpunkt, es handle sich um ein einziges versichertes Ereignis, weshalb sie ihrer Leistungspflicht mit der Bezahlung der vereinbarten Summe von CHF 500'000.-- bereits vollständig nachgekommen sei und forderte die Abweisung der Klage.

Das Gericht beschränkte das Verfahren antragsgemäss auf die Frage, ob und ggf. für wie viele versicherte Ereignisse die Beklagte der Klägerin über die erbrachten Leistungen hinaus Versicherungsleistungen zu erbringen habe. Mit Urteil vom 8. Juni 2022 wies es die Klage ab, da es zum Schluss kam, dass nur von einem einzigen Ereignis auszugehen sei. Der Bundesrat habe lediglich den Inhalt und die Modalitäten fortlaufend den aktuellen Entwicklungen der Covid-19-Pandemie angepasst. Für dieses eine Ereignis habe die Beklagte ihre Leistung unstrittig bereits erbracht.

Verfahren vor Bundesgericht: Anwendung der Unklarheitsregel

Vor Bundesgericht rügte die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe in Verletzung von Art. 18 OR in der «Beschränkung der betrieblichen Tätigkeit» kein versichertes Ereignis im Sinne der anwendbaren Versicherungsbedingungen erkannt und dadurch die Unklarheitsregel «falsch angewendet».

Die strittige Umschreibung des «versicherten Ereignisses» sei in der Police (Ziff. 18) dieselbe wie in den AVB-Epidemieversicherung (Ziff. A1) (vgl. oben; E. 4.1.). In Ziff. 18 der Police seien bei einem versicherten Ereignis u.a. «Unterbrechungsschäden und Lohnkosten» zu entschädigen, gemäss AVB-Epidemieversicherung Ziff. 11 «Unterbrechungsschäden», insbesondere «infolge der Betriebsschliessung oder Quarantäne».

Während die Beschwerdeführerin vor der Vorinstanz den Hauptstandpunkt vertreten hatte, dass jeder Beschluss des Bundesrats ein eigenständiges Schadensereignis darstelle, akzeptierte sie in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht, dass die Verlängerungen der Massnahmen (8. und 16. April 2020) keine neuen Ereignisse darstellten (E. 5.). Die von der Beschwerdegegnerin erbrachte Leistung von CHF 500'000.-- beziehe die Beschwerdeführerin auf das Ereignis vom 13. März 2020, das damit abgegolten sei. Strittig sei indes, ob die Verordnungen vom 28. Februar 2020 bzw. 8. Mai 2020, mit welchen der Betrieb der Beschwerdeführerin beschränkt worden sei, versicherte Ereignisse darstellten. Aus Sicht der Beschwerdegegnerin liege ein einziges und einheitliches Schadensereignis vor, nämlich das behördliche Massnahmenpaket als solches.

Die Vorinstanz erwog ausgehend vom Wortlaut der strittigen Klausel (AVB A1), das versicherte Ereignis bildeten «behördlich angeordnete Massnahmen» (E. 6.1.). Die Verlängerung einer Anordnung bilde keine eigenständige neue Anordnung. Das bestätige die Systematik der AVB, worin die Schadensdauer explizit der «Dauer der behördlichen Massnahme» gleichgesetzt werde (AVB A3, Ziff.11). Dass die Anordnung einschneidender behördlicher Massnahmen im Zweifelsfall eher kurz zu bemessen und dann nötigenfalls zu verlängern sei, folge aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip und den einschlägigen Verordnungen selbst. Die Verlängerung einer (unveränderten) Massnahme stelle daher kein selbständiges versichertes Ereignis dar. Mit dieser Erwägung der Vorinstanz sei die Beschwerdeführerin einverstanden.

Versichertes Ereignis und versicherter Schaden sind auseinanderzuhalten

Nicht einverstanden sei die Beschwerdeführerin hingegen mit der weiteren Erwägung der Vorinstanz, dass eine Beschränkung oder teilweise Schliessung dem Begriff der «Schliessung» gemäss Versicherungsvertrag (AVB A3, Ziff. 11) gleichzusetzen sei (E. 6.2.). Sie erblickte darin einen Verstoss gegen die Auslegung nach Vertrauensprinzip. Die Beschwerdegegnerin hätte die «Betriebsschliessung» näher umschreiben müssen als «Schliessung des ganzen Betriebes» oder als «gänzliche Betriebsschliessung», so die Beschwerdeführerin. Da sie dies nicht getan habe, folge aus dem Vertrauensprinzip, dass auch eine teilweise Betriebsschliessung als «Betriebsschliessung» zu verstehen sei. Daraus wollte die Beschwerdeführerin das Vorliegen eines versicherten Ereignisses ableiten.

Das Bundesgericht erwog, der Beschwerdeführerin könne nicht gefolgt werden, da sie ihre Kritik auf der unzutreffenden und daher von vornherein nicht zielführenden Annahme aufbaue, das versicherte Ereignis sei mit dem versicherten Schaden gleichzusetzen (E. 6.2.). Beides sei jedoch auseinander zu halten und werde in den AVB auch in zwei verschiedenen Bestimmungen geregelt, so in den AVB A1 das versicherte Ereignis und in den AVB A3 die Schäden, welche bei Eintritt eines versicherten Ereignisses entgolten würden. Vorliegend sei das versicherte Ereignis das durch den Bundesrat angeordnete Massnahmenpaket zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Die Frage, ob eine Betriebseinschränkung oder teilweise Betriebsschliessung zu einem versicherten Schaden führen würde, obwohl in AVB A3 Ziff. 11 nur von «Betriebsschliessung» die Rede sei, würde sich nur dann stellen, wenn sich die behördlichen Massnahmen auf Teilschliessungen beschränkt hätten. Das sei hier aber nicht der Fall, weshalb die Kritik der Beschwerdeführerin an der Sache vorbeigehe.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, aus der Bezeichnung der «Betriebsschliessung» als Oberbegriff folge, dass die teilweise Betriebsschliessung oder die Betriebseinschränkung als Unterbegriff im Oberbegriff enthalten und also auch als versichertes Ereignis anzusehen sei, bezeichnete das Bundesgericht als nicht zielführend. Es betonte einmal mehr, dass der in den AVB A3 Ziff. 11 verwendete Begriff «Betriebsschliessung» die gedeckten Schäden und nicht das versicherte Ereignis umschreibe.

Streitig sei aber nicht der versicherte Schaden, sondern, was als versichertes Ereignis anzusehen sei: das ganze Massnahmenpaket oder die einzelnen behördlichen Anordnungen (E. 6.2.). Auf diese Frage sei das Verfahren auf Antrag der Beschwerdeführerin beschränkt worden. Es sei die gleiche Überlegung massgebend in Bezug auf den Inhalt der angeordneten Massnahmen wie für deren Verlängerungen: Der Bundesrat respektierte das Verhältnismässigkeitsprinzip und die dynamische Entwicklung der Pandemie, indem er zunächst mit der Covid-19-Verordnung 1 noch nicht sehr weitreichende Verbote anordnete, dann aber in Anbetracht der eingetretenen Aggravation einschneidendere Massnahmen treffen musste bis hin zu Betriebsschliessungen, und schliesslich aufgrund der entspannteren Situation am 8. Mai 2020 die Massnahmen wieder lockern, namentlich die Wiederöffnung der Restaurationsbetriebe unter Auflagen vorsehen konnte. Die Beschwerdeführerin verkenne dies, wenn sie auf der einen Seite damit einverstanden sei, die Verlängerungen der Betriebsschliessung vom 16. März 2020 demselben versicherten Ereignis zuzurechnen, aber die am 28. Februar 2020 und am 8. Mai 2020 angeordneten Beschränkungen als eigenständige, versicherte Ereignisse betrachte. Es bleibe ein einheitliches Massnahmenpaket, ob es nun um Änderungen der behördlichen Anordnungen betreffend Intensität oder Dauer gehe (E. 6.2.).

Die Vorinstanz habe daher zu Recht erkannt, dass von einem einzigen versicherten Ereignis auszugehen sei. Da die gerügte «falsche Anwendung der Unklarheitsregel» nicht vorliege, habe die Vorinstanz diese subsidiäre Regel zurecht nicht zur Anwendung gebracht (E. 6.3.).

Kommentar

Vorliegendes Urteil zeigt einmal mehr die erhebliche Bedeutung auf, die der präzisen Definition des versicherten Ereignisses zukommt. Die kleinste Interpretationsmöglichkeit kann bewirken, dass ein Sachverhalt ungewollt als mehrere versicherte Ereignisse ausgelegt werden kann und damit mehrere Versicherungssummen zur Verfügung stünden.

Das Bundesgericht legte in verständlicher Weise dar, weshalb die Argumentation der Beschwerdeführerin an der Sache vorbeiging. Einerseits korrigierte es die Annahme der Beschwerdeführerin, das versicherte Ereignis sei mit dem versicherten Schaden gleichzusetzen und beurteilte beides strikt getrennt (nach den jeweiligen Policenbestimmungen).

Andererseits berücksichtigte das Bundesgericht bei der Beantwortung der Frage, ob die angeordneten Massnahmen gesamthaft oder die einzelnen behördlichen Anordnungen als versichertes Ereignis anzusehen waren, das Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV). Wie das Handelsgericht Zürich bereits zutreffend ausgeführt hatte, stünde es im Widerspruch zum Verhältnismässigkeitsprinzip, wenn ein Versicherungsunternehmen bei verhältnismässigem Verhalten der Behörden hinsichtlich der jeweils angeordneten Massnahmen mehrfach leisten müsste, bei (ex ante betrachtet) unverhältnismässigem Vorgehen der Behörden indessen nur einmal (E. 6.1.). Folgerichtig hat das Bundesgericht das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht nur hinsichtlich der Dauer der jeweils angeordneten Massnahmen, sondern auch hinsichtlich deren Intensität angewendet.

Insgesamt sind die rechtlichen Erwägungen sowohl des Handelsgerichts Zürich als auch des Bundesgerichts im vorliegenden Fall begrüssenswert.

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Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden am Bundesgericht

Urteil 4A_605/2021 vom 5. Mai 2022

Sachverhalt

Die Beschwerdegegnerin, eine in der Unternehmensberatung tätige Gesellschaft, verpflichtete sich gegenüber der Beschwerdeführerin zur Erarbeitung eines Unternehmenskonzepts, welches aus mehreren Schritten bestand. Die Parteien wurden sich nach Unterzeichnung der Auftragsbestätigung über die Auslegung eines Teils des Vertragsinhalts nicht einig, worauf die Beschwerdegegnerin beim Bezirksgericht Höfe Klage erhob. Das Gericht wies die Klage vollumfänglich ab. Daraufhin gelangte die Beschwerdegegnerin mittels Berufung an das Kantonsgericht Schwyz, welches die Berufung guthiess, das Urteil des Bezirksgerichts aufhob und die Sache im Sinne der Erwägungen an das Bezirksgericht zurückwies. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragte die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht die Aufhebung des vorinstanzlichen Zwischenentscheides und die Abweisung der Klage.

Vorbringen der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin berief sich für die Zulässigkeit ihrer Beschwerde auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG. Danach ist eine Beschwerde gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide zulässig, wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.

Im Wesentlichen brachte die Beschwerdeführerin vor, ein Beweisverfahren würde angesichts der im Recht liegenden Beweismittel und -anträge sowohl für die Erstinstanz als auch für die Parteien einen überdurchschnittlich hohen, bedeutenden Aufwand hervorrufen. Dabei verwies sie pauschal auf die Beweismittelverzeichnisse bzw. die erstinstanzlichen Rechtsschriften der Parteien und zählte auf, welche Beweismittel von den Parteien offeriert wurden. Weiter brachte die Beschwerdeführerin vor, das Beweisverfahren dürfte nicht ohne die Einvernahme diverser Zeugen möglich sein.

Restriktive Zulässigkeit der Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden

Unbestritten war, dass es sich beim angefochtenen Rückweisungsentscheid des Kantonsgerichts um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid i.S.v. Art. 93 BGG handelte. Gemäss Bundesgericht sei deren Anfechtbarkeit restriktiv zu handhaben (E. 1.1.). Soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich ins Auge springe, obliege es der beschwerdeführenden Partei, darzulegen, dass die Voraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind (BGE 142 III 798 E. 2.2; 141 III 80 E. 1.2; 137 III 324 E. 1.1). Dabei sei wie folgt zu differenzieren: Gehe bereits aus dem angefochtenen Urteil oder der Natur der Sache hervor, dass ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand für ein weitläufiges Beweisverfahren erforderlich sein werde, dürfe auf lange Ausführungen verzichtet werden (E. 1.1). Andernfalls habe der Beschwerdeführer im Einzelnen darzutun, welche Tatfragen offen seien und welche weitläufigen Beweiserhebungen in welchem zeit- oder kostenmässigen Umfang erforderlich seien (ebd.). Er müsse zudem darlegen, dass er diese Beweise im kantonalen Verfahren bereits angerufen oder entsprechende Anträge gestellt habe (BGE 133 IV 288 E. 3.2; 118 II 91 E. 1a m.H.; Urteil 4A_288/2021 vom 13. Juli 2021 E 2.1 m.H.).

Aufzählungen und pauschale Verweise genügen nicht

Das Bundesgericht ging nicht ausführlich darauf ein, ob es vorliegend einen verfahrensabschliessenden Endentscheid fällen könnte. Es prüfte, ob mit einem Endentscheid überhaupt ein bedeutender Zeit- und Kostenaufwand für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden könnte.

Entgegen der Beschwerdeführerin war die erhebliche Kosten- und Aufwandersparnis eines Endentscheids für das Bundesgericht nicht offensichtlich gegeben (E. 1.2.2.). Welche weitläufigen Beweiserhebungen in welchem zeit- oder kostenmässigen Umfang erforderlich seien, hatte die Beschwerdeführerin nicht hinreichend ausgeführt (ebd.). Der pauschale Verweis auf die Beweismittelverzeichnisse bzw. die erstinstanzlichen Rechtsschriften der Parteien und die Aufzählung der offerierten Beweismittel genügten nicht.

So erwog auch die Vorinstanz, der Sachverhalt sei in wesentlichen Teilen zu vervollständigen und es sei allenfalls ein Beweisverfahren durchzuführen (E. 1.2.2.). Zudem war fraglich, wie viele der genannten Zeugen überhaupt hätten befragt werden müssen. Bei den Vorbringen der Beschwerdeführerin handle es sich um blosse Mutmassungen. Damit seien die Anforderungen an die Darlegung eines weitläufigen Beweisverfahrens nicht erfüllt.

Anforderungen an Dauer und Kosten eines weitläufigen Beweisverfahrens

Das Beweisverfahren müsse bezüglich Dauer und Kosten erheblich von einem üblichen Prozess abweichen, damit die gesetzliche Voraussetzung erfüllt sei (E 1.2.2). Entgegen dem deutschen und italienischen Wortlaut müsse es lang und kostspielig sein (E. 1.1. m.H.). Eine sofortige Beschwerde sei nicht gerechtfertigt, wenn sich die Beweisaufnahme darauf beschränken soll, die Parteien anzuhören, ihnen die Vorlage von Urkunden zu ermöglichen und einige Zeugen zu vernehmen. Die Beurteilung fiele allenfalls anders aus, wenn ein komplexes Gutachten, mehrere Gutachten, die Vernehmung sehr vieler Zeugen oder Rechtshilfeersuchen im entfernteren Ausland in Betracht gezogen werden müssten (E. 1.2.2. m.w.H.).

Kommentar

Das Bundesgericht bestätigt mit diesem Entscheid seine bisherige Praxis, wonach die beschwerdeführende Partei das Vorliegen einer erheblichen Kosten- und Aufwandersparnis substantiiert im Einzelnen darzulegen hat (vgl. Urteil BGer 4A_109/2007 vom 30. Juli 2007 E. 2.4). Die theoretische und abstrakte Möglichkeit, dass die Parteien im weiteren Verfahren vor Gericht neue Beweisanträge stellen können, genügt dabei nicht (vgl. BGE 118 II 91 E. 1a; 116 II 738 E.1; vgl. Uhlmann, BSK-BGG, N 22 zu Art. 93 BGG m.w.H.).

Dem Entscheid des Bundesgerichts ist einmal mehr sehr deutlich zu entnehmen, dass die Anfechtung selbständig eröffneter Zwischenentscheide sehr restriktiv gehandhabt wird. Für den Rechtssuchenden dürfte aber nach wie vor unklar bleiben, welches Mass an Kostspieligkeit bzw. Kostenersparnis für die erfolgreiche Anfechtung eines Zwischenentscheids nach Art. 93 BGG tatsächlich ausreichend ist. Aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht ist es deshalb erforderlich, sich sehr eingehend mit dem zeit- und kostenmässigen Umfang des voraussichtlich noch anstehenden Beweisverfahrens zu beschäftigen.

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Wir zeigen uns im neuen Kleid

Seit rund 15 Jahren setzen wir uns mit Leidenschaft und Kompetenz für die Interessen unserer Klientschaft ein und dürfen uns zu den führenden Anwaltskanzleien im Haftpflicht- und Versicherungsrecht zählen. Wir sind all jenen zu grossem Dank verpflichtet, die uns über die Jahre begleitet und unterstützt haben. Dazu gehören neben unserer geschätzten Klientschaft natürlich auch unser grossartiges Kanzleiteam sowie Familien und Freunde. Wir blicken zu gleichen Teilen mit Stolz auf interessante und bereichernde Jahre zurück und mit Freude und Zuversicht in die Zukunft. In diesem Sinne: Neuer Look – gleiche Werte

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Keine Haftung der Stadt Zürich für Tramunfall mit abgelenktem Fussgänger

BGer 4A_179/2021 (amtl. Publ.)

Das Bundesgericht befasste sich in seinem Entscheid vom 20. Mai 2022 mit einem alltäglichen Sachverhalt: Der Beschwerdegegner stand an einer Tramhaltestelle mit dem Rücken zum einfahrenden Tram und hatte den Blick auf sein Mobiltelefon gerichtet, als er unvermittelt und ohne nach links zu schauen den Gleisbereich betrat. Dabei wurde er vom einfahrenden Tram erfasst und zog sich schwere Verletzungen zu. In der Folge forderte er von der Stadt Zürich als Inhaberin der Verkehrsbetriebe gestützt auf Art. 40b Abs. 1 EBG mittels Teilklage eine Genugtuung. Die Vorinstanzen hatten die Haftung der Stadt grundsätzlich bejaht. Nicht so das Bundesgericht, welches die Beschwerde der Stadt gegen das Urteil des Obergerichts gut hiess und das Urteil aufhob. Vor Bundesgericht war strittig, ob sich die Stadt aufgrund des groben Selbstverschuldens des Fussgängers gemäss Art. 40c EBG von ihrer Haftung befreien könne (vgl. E. 3.1).

Das Bundesgericht erwog, ein Drittverhalten stelle nur eine Hauptursache nach Art. 40c EBG dar, wenn das Verhalten einen derart hohen Wirkungsgrad aufweise, dass die vom Haftpflichtigen gesetzte Ursache nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich für die eingetretene Schädigung erscheine (E. 3.2). Der Unfall habe sich an übersichtlicher Stelle bei schöner Witterung ereignet (E. 4.3.4). Überdies sei der Fussgänger ortskundig und sich der Gefahrensituation bewusst gewesen. Er habe die Gefahr unnötig geschaffen. Das verkehrswidrige Verhalten des Fussgängers erschien dem Bundesgericht daher als Hauptursache des Unfalls. Es bejahte aus diesem Grund eine Entlastung der Stadt von der Haftpflicht nach Art. 40c EBG (E. 4.4).

Kommentar: Die Haftung nach EBG ist eine ausservertragliche Gefährdungshaftung, welche der Gesetzgeber als strenge Kausalhaftung ausgestaltet hat (vgl. Roger König, Die neue Haftung der Eisenbahnunternehmen, HAVE 2013 S. 199 ff., S. 201). Das Verschulden des Inhabers des Eisenbahnunternehmens bildet daher keine Haftungsvoraussetzung. Dieser kann sich auch nicht mit dem Nachweis entlasten, er habe die gebotene Sorgfalt aufgebracht. Die einzige Möglichkeit des Inhabers, sich von der Haftung zu befreien, ergibt sich aus Art. 40c EBG. Diese Bestimmung darf daher keinesfalls ihres Sinngehalts entleert werden (vgl. dazu auch BBl 2007 4493). Der Blick nach links und rechts vor Überqueren einer Fahrbahn gilt als elementare Verkehrsregel. Deren Nichtbeachten durch den Beschwerdegegner wertete das Bundesgericht in der gegebenen Situation wohl zu Recht als grobes, kausalitätsunterbrechendes Selbstverschulden. Dabei stellte es gleichzeitig klar, dass damit kein moralischer Vorwurf verbunden sei, sondern es letztlich um die Frage gehe, inwieweit dem Eisenbahnunternehmen die Folgen seiner gefährlichen (Betriebs-)Tätigkeit noch zugerechnet werden können.

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